Was ist bindungs- und beziehungsorientiert?
Von der Erziehung zur Beziehung
01.05.2023
Was ist eigentlich genau die bindungs- und beziehungsorientierte Pädagogik? [1]
In diesem Dschungel von Begrifflichkeiten, in Bezug auf den Umgang mit Kindern, kann es einen schon ganz schön verwirren. Was unterscheidet die bindungs- und beziehungsorientierte Pädagogik denn nun von der Bedürfnisorientierung oder dem Attachment Parenting oder der, für die meisten unter uns, bekannten herkömmlichen Erziehung?
Erziehung ist allgemein der Überbegriff, der in Bezug auf die Sozialisation und Begleitung von Kindern und Jugendlichen seit Jahrhunderten genutzt wird.
Über die Zeit haben viele Wissenschaftler, Soziologen und Psychologen sich Gedanken dazu gemacht, was Erziehung genau bedeutet.
Um zu verdeutlichen was genau die bindungs- und beziehungsorientierte Pädagogik ausmacht, erstmal ein kleiner Diskurs in die herkömmliche Erziehung.
Der Nationalsozialismus hat Deutschland und Österreich extrem geprägt und das ist das, was unsere Großeltern, unsere Eltern und wir selber als Eltern unter der herkömmlichen Erziehung kennengelernt und erfahren haben.
Man ging davon aus, dass Babys auf die Welt kommen und grundsätzlich widerständisch sind. Mit Hilfe von erzieherischen Maßnahmen und Methoden sollte verhindert werden, dass Kinder zu Tyrannen werden und ungehorsam und unangepasst den Eltern und Lehrern das Leben schwer machen. Sie sollten sich schlicht an das System anpassen.
Man ging von einem Machtgefälle aus, Kinder waren grundsätzlich nicht gleichwürdig und damit wurde den Erwachsenen das Recht zugeteilt, über Kinder zu bestimmen und zu richten.
Eltern sollten ihre Kinder ‚im Griff‘ haben, sich nicht ‚auf der Nase herumtanzen lassen‘ und unerwünschtes Verhalten sofort unter Kontrolle bringen, Gefühle wurden meist nicht gern gesehen, und in gut und schlecht aufgeteilt.
Das Verhalten wurde sehr eindimensional in den Vordergrund gestellt. Und wenn dieses nicht den Erwartungen und Normen der Erwachsenen entsprach, galt es dieses auf dem schnellsten Weg zu stoppen.
Diese Ansicht hat Generationen geprägt und wenn wir nun aus der Vergangenheit ins Hier und Jetzt wechseln, dann ist durch den Erkenntnisgewinn der letzten Jahrzehnte eine große Unsicherheit entstanden.
Wir heutigen Eltern sind oft noch mit der herkömmlichen Erziehung in Berührung gekommen und tragen sowohl eigene, als auch transgenerationale Erfahrungen in uns.
Glaubenssätze darüber, wie ‚man‘ sich verhalten sollte, sei es am Tisch, mit Gästen, oder ganz allgemein auf zwischenmenschlicher Ebene sind tief in uns verankert.
Unser Gefühl sagt uns aber, dass wir heute vielleicht gar nicht mehr gehorsame Menschen brauchen, dass angepasste Kinder nicht oder auch nur sehr schwer zu selbstständigen, verantwortungsbewussten und handlungsfähigen Erwachsenen werden können.
Wir spüren, dass es eine Ebene im Menschen gibt, die übersehen wurde! Wir spüren es häufig so deutlich, wenn wir Eltern geworden sind und unsere Kinder uns plötzlich innere Welten aufzeigen, von denen wir gar nicht wussten, dass sie zu uns gehören!
Und hier setzt die bindungs- und beziehungsorientierte Pädagogik an, denn unsere innere Welt, das sind unsere Emotionen, unsere Gefühle und Bedürfnisse!
Und wenn ich ‚uns‘ sage, dann meine ich uns alle, alle Menschen ob groß oder klein!
Die ersten Jahre unseres Lebens steht unsere emotionale Entwicklung im Vordergrund, rein hirnorganisch entwickelt sich das limbische System, also das emotionale Gehirn zuerst und erst viele Jahre später wird die Kognition hinterherkommen und damit die Impulskontrolle und die Vernunft die Steuerung übernehmen.
Deshalb ist es so unendlich wichtig die Emotionen in den ersten Jahren zuzulassen, kennenzulernen, zu spüren und zu benennen.
Die bindungs- und beziehungsorientierte Pädagogik ist kein neues Konstrukt, keine Methode, kein Regelwerk oder eine Theorie.
Sie ist eine Haltung zum Menschen, eine Einstellung zum Leben und zum Miteinander, ein Leben nach Werten, wie Verantwortung, Wertschätzung und Vertrauen.
In der bindungs- und beziehungsorientierten Haltung, werden die Bedürfnisse aller geachtet, die Art der Kommunikation ist wertschätzend und im Dialog, das Wissen über die kindliche Entwicklung fördert das Verstehen deines Kindes und die Achtsamkeit gegenüber seinem Verhalten.
In der bindungs- und beziehungsorientierten Haltung gehen wir davon aus, dass das Verhalten immer einen Grund hat und Sinn macht. Wir wissen, dass einem Verhalten immer ein Gefühl zugrunde liegt und dass dieses Gefühl wiederum auch einen Grund hat, nämlich ein unerfülltes emotionales Bedürfnis.
Mit diesem Wissen dürfen wir immer wieder die Lupe rausholen oder tiefseetauchen um ein Verhalten zu verstehen und um dann konstruktiv und beziehungsstärkend damit umzugehen.
Ich persönlich finde mich in dieser wertschätzenden Haltung anderen Menschen und Lebewesen gegenüber zu 100% wieder und wünsche mir so vielen Kindern wie möglich ein gesundes und liebevolles Aufwachsen auf Augenhöhe und in Beziehung.
[1] Nach Katia Saalfrank